Julian Warner, künstlerischer Leiter des Brechtfestivals 2023|24|25, zu Gast beim auxlitera-Fragebogen »Speak & Spell | subtext sprache«. Der Kulturanthropologe über Sprache, Sprechen, Worte: über die Markierung von Fremdheit und die vermeintlich magischen Begriffe eines »Bullshit-Bingos«. Das Brechtfestival startet am Freitag, 10. Februar, und geht bis 19. Februar.

Speak & Spell
: subtext sprache :
Teil 4 mit: JULIAN WARNER
Künstlerischer Leiter des Brechtfestivals 2023|24|25 • Kulturanthropologe • Musiker
– Geboren 1985 in Erkelenz (neben Lützerath), aufgewachsen in Wassenberg. Lebt in München.
Arbeit als Kulturanthropologe transdisziplinär in den Bereichen Kuration, Musik, Performancekunst und Wissenschaft. Julian Warner ist künstlerischer Leiter des Brechtfestivals 2023|24|25 in Augsburg. Unter dem Alias Fehler Kuti veröffentlicht er Diskurs-Pop.
► Julian Warner war Performer diverser Essay-Performances von Oliver Zahn sowie Dramaturg und Ethnograf von Anta Helena Reckes Schwarzkopie Mittelreich. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter arbeitete er am Institut für Kulturanthropologie der Georg-August-Universität Göttingen und ist mit Elisa Liepsch Ko-Herausgeber des Sammelbandes ALLIANZEN — Kritische Praxis an weißen Institutionen. der Volkskammer.
Herr Warner, welches Buch / E-Book lesen Sie gerade?
Beruflich: Frederic Jameson – Brecht and Method
Privat: Max Weber – Typen der Herrschaft
Welche Sprachen sprechen Sie? Und: Julian Warner ist ein englischer Name – verraten Sie uns Ihre sprachliche Biografiekarte?
Englisch und Deutsch. Ich weiß noch genau, wie ich zum Entsetzen meiner Mutter das erste Mal mit meinen Lego-Figuren auf Deutsch spielte.
Erinnern Sie sich an das erste Wort, das Sie als kleines Kind sprechen konnten?
Nicht das erste Wort. Aber eines meiner frühen Worte war relationship. Ich stellte es mir als Raumschiff im Stile von Kampfstern Galactica vor.
Das schönste Wort, das ich kenne, ist…?
Famos.
Welche Brecht-Lektüre (in der Primärliteratur) hat Ihnen an meisten gefallen?
Den Nachgeborenen
Den Nachgeborenen
Ich gestehe es: ich
Habe keine Hoffnung.
Die Blinden reden von einem Ausweg. Ich
Sehe.
Wenn die Irrtümer verbraucht sind
Sitzt als letzter Gesellschafter
Uns das Nichts gegenüber.
► Aus: Bertolt Brecht: Die Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2000
– Foto: Bundesarchiv, Bild 183-W0409-300 / Kolbe, Jörg / CC-BY-SA 3.0

► Welche sprachlichen Methoden entdecken Sie bei Brecht? Reicht es, bei der Sprache zu bleiben, wenn daraus kein Handeln oder keine Änderung der Verhältnisse folgt??
»Ich finde Nikolaus Müller-Schölls These überzeugend, dass man von Brecht über Kroetz, Achternbusch bis heute Bierbichler eine bayerische Erzähltradition konstruieren kann, die sich durch eine unbarmherzig distanzierte Erzählweise auszeichnet, aber zuweilen auch an den Witz von Liesl Karlstadt und Karl Valentin erinnert.
Darüber hinaus plädiere ich dafür, im markigen Slogan des »eingreifenden Denkens« keinen künstlerischen Ersatz für die politische Aktion hineinzulesen, sondern darin bestenfalls das Antidot dessen zu erkennen, was der Science Fiction Autor J.G. Ballard einst präzise als »Vorort von Düsseldorf« bezeichnete. Ballard meinte damit die totale Abwesenheit von Imagination und Möglichkeiten.
Ich folge gerne Frederic Jameson und Darko Suvin in ihrer Hoffnung, dass Brecht uns Mittel bereitstellt, um einer Alternativlosigkeit des Denkens (und somit des potentiellen Handelns) zu begegnen.«
Wer in seiner Sprache nicht strukturellen Rassismus oder strukturelle Diskriminierung bedienen möchte, sollte als erstes…
…mit seinen diskriminierten Freunden darüber sprechen. Hast Du keine, hast Du Pech und bist den Kulturkämpfen des Feuilletons hilflos ausgeliefert.
Welchen Anglizismus, welches »Fremdwort«, welchen Begriff z.B. der Jugend- oder Politiksprache oder welches Blähwort finden Sie ganz schrecklich?
Teilhabe.
Welchen Dialekt hören Sie besonders gern – und warum? Sprechen Sie selber einen Dialekt?
Denglisch.
Sprachliches Gendern: Sternchen, Doppelpunkt, Schrägstrich, alle Geschlechter ausgeschrieben oder…?
Jede*r, wie er*sie mag. Veränderungen sind gut, Kulturkämpfe neurotisch.

► Sprache bildet Gemeinschaft und trägt Communities. Gleichzeitig sorgt Sprache aber für Trennung und Spaltung zwischen verschiedenen Gruppen. Wie erleben oder werten Sie dieses Spannungsverhältnis? Ist Sprache weiterhin noch die Brücke? Wie muss Sprache der Zukunft aussehen? Darf jeder (s)eine Sprache behalten? Wie wichtig sind sprachliche Wurzeln generell?
Die Frage misst der Sprache eine weltverändernde Wirksamkeit zu, die ich so nicht teilen kann. Zudem ist sie Ausdruck einer gängigen Verschiebung politischer Kämpfe auf die symbolische Ebene. Das, was materiell und strukturell unmöglich erscheint findet so seinen Ausdruck in Kunst, Kultur und Sprache.
Hier finden sich auch bereitwillige Komplizen einer solchen Übersetzung, die ihre »Systemrelevanz« durch eine magische Wirksamkeit gegenüber der materiellen Welt zu behaupten versuchen. »Performativität«, »Empowerment« und »kulturelle Teilhabe« sind nur einige magische Begriffe dieses symbolpolitischen Bullshit-Bingos.
Ich halte eine gestaltende Sprachpolitik für nicht notwendig, sondern eher als Hindernis notwendiger materieller und struktureller Veränderungen, da diese suggeriert, dass es mit individuellen Verhaltensänderungen und Sprachver- und -geboten getan sei.
Sprache ist die Arena, in der die Verhältnisse verhandelt werden. Sprache vermag zu helfen, die Veränderbarkeit der Verhältnisse zu erkennen. Sprache vermag es, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Aber Sprache selbst verändert die Verhältnisse nicht.
Welche prominente Person bewundern Sie für ihre Sprachfertigkeit / ihre Art, zu sprechen?
bell hooks und Stuart Hall für ihr müheloses Changieren zwischen komplexem Fachdiskurs und persönlicher Alltagssprache.
In welchem literarischen Werk (oder im Alltag!?) ist Ihnen bislang die schönste Sprache begegnet?
Kenneth Grahame: The Wind in the Willows
Welche aktuelle Sprachentwicklung betrachten Sie mit Sorge?
Ich sorge mich nicht. Et kütt wie et kütt. Und es ist schon immer gutgegangen.
Ein Vergleich: Welches Gemälde oder Musikstück oder welcher Duft/welches Essen vermag es widerzuspiegeln, wie menschliche Sprache idealerweise sein sollte?
Sprache ist wie Borschtsch.
Mit welcher Tierart (oder Pflanze?!) würden Sie sich gerne in dessen Sprache verständigen können wollen?
Mit Weihnachtsbäumen. Deren Existenz erschien mir immerschon äußerst absurd.
Bei welchem Wort oder »Fremdwort« sagt man Ihnen nach, Sie sprächen es anders aus als andere Menschen?
Kirche/Kirsche.
Welches Gedicht, welche Liedzeile oder welches literarische Zitat ist Ihnen zum Lebensmotto geworden oder fängt Sie immer wieder auf?
»Gallow’s Pole. Ein Volkslied. In Deutschland auch bekannt als Die Losgekaufte. Zu empfehlen ist v.a. die Aufnahme der afro-amerikanischen Folk-Sängerin Odetta.«
Das schönste älteste Wort ist…?
Etymologisch fasziniert mich das Wort Spiel und seine Nähe zum englischen spell, was sowohl das Buchstabieren, als auch das Zaubern miteinschließt.
Welche Person, die nicht aus der Literaturbranche stammt, würden Sie gerne einmal als Gesprächsteilnehmer beim Literarischen Quartett oder als Jury-Mitglied des Bachmann-Preises sehen?
Fritz von Thurn und Taxis.
Wenn Sie mitten in der Nacht aufgeweckt werden und Sie würden nach einer Kinderliedzeile oder einem Abzählreim gefragt werden, welche/s Lied/Abzählreim würden Sie sofort auf den Lippen haben?
Drei Chinesen mit dem Kontrabass.
(denn wir sind alle auch Rassisten)
Welchen Liedtext – unabhängig von der Melodie – finden Sie wunderschön?
Milton Nascimento: Nothing will be as it was
Welches Wort, sagt man Ihnen nach, benützen Sie am meisten?
»sozusagen«.
In welcher Form mögen Sie Sprache am liebsten?
– Multiple Choice: 3 Antworten erlaubt –
■ gesprochen
■ mit Musik
□ übers Telefon
□ handgeschrieben
■ als Klang erinnert
□ SMS / WhatApp
□ von einem bestimmten
Geschlecht: ____
□ Kindermund
□ Buch / E-Book
□ geflüstert
□ Hörbuch
□ auf der Theaterbühne
□ gesungen
□ Stimmengewirr im Bus
□ SMS / WhatApp
□ Voicemail
□ anders: __________________
Sind auf Ihrem Smartphone bei SMS/Whatsapp Autokorrektur eingeschaltet?
Nein.
Schreiben Sie am Smartphone Nachrichten oder hinterlassen Sie lieber Sprachnachrichten?
Ich schreibe. Sprachnachrichten abhören zu müssen ist eine Zumutung.
In welches Land würden Sie allein der dortigen Sprache wegen reisen?
Eine merkwürdige Vorstellung.
Welches Buch über Sprache(n) sollte man gelesen haben?
Edouard Glissant: Poetics of Relation
► Im auxlitera-Fragebogen taucht mehrmals der Begriff »Fremdwort« auf. Angesichts zunehmender gesellschaftlicher Vielfaltsbestrebungen und dem Ziel der Sichtbarmachung verschiedenster Gruppen (Communities): Gibt es so etwas wie Fremdwörter oder das Fremdwort überhaupt noch? Darf, soll, wird es Fremdwörter weitergeben und unter welchen Bedingungen?
»Ich habe keine Hemmungen vor dem Begriff der »Fremdheit« und denke, dass gerade eine diverse Gesellschaft gut daran tut, dieses Gefühl zu bewahren und zu kultivieren. Das Markieren der eigenen Sprecherposition und der damit einhergehende Verlust einer universellen Deutungshoheit bedeuten eben nicht, dass es »Fremdheit« nicht mehr gibt, sondern dass viele, sich teils widersprechende, Artikulationen dessen existieren.
Ob es speziell »das Fremdwort« als analytische Kategorie noch braucht, ist eine Frage für Linguisten und Philologen. Aber die Markierung von Fremdheit gibt es gerade in einer diversen Gesellschaft häufiger und multidirektionaler, als in einer homogen imaginierten.«
Vom wem haben Sie in ihrem Leben das meiste in Sachen Sprache und Sprechen gelernt?
Mein tamilischer Großonkel wuchs in der britischen Kronkolonie British Malay auf. Seine Mutter lehrte ihm kaum Tamilisch, denn die Sprache der Kolonialherren war Englisch. Als im Zweiten Weltkrieg japanische Soldaten seine Heimatstadt Seremban eroberten, pferchten sie die Männer des Ortes in einer Stadthalle zusammen und brachten ihnen mit vorgehaltenem Maschinengewehr Japanisch bei. Später, im unabhängigen Malaysia erlernte er die neue Amtssprache Bahasa Malaysia, in der er sich bis zu seinem Tod nur rudimentär verständigen konnte.
Mein Großonkel arbeitete, lebte und liebte. Er las, er schrieb, er reiste, er hatte Hobbies, er hatte Freunde. Aber eine eigene Sprache, so sagte er mir einst, besaß er nicht.
In welchen Sprachen haben Sie Bücher zuhause?
Deutsch und Englisch.
Welche Sprache würden Sie gerne einwandfrei sprechen können (oder gerne einmal lernen wollen)?
Französisch. Um Frantz Fanon im Original lesen zu können.
~ Konzept & Fragen: Martin Schmidt | auxlitera

Das Brechtfestival startet am Freitag, 10. Februar. Das Programm geht bis Sonntag, 19. Februar. Mehr zu den Veranstaltungen im auxlitera-Veranstaltungskalender und auf ► www.brechtfestival.de
►
TICKETS für das Brechtfestival gibt es auf ► www.brechtfestival.reservix.de
Bereits zu Gast bei Speak & Spell:


• 03 – Dr. Andreas Mäckel • Biograf, Gründer des Biographiezentrums, Kursleiter für biografisches Schreiben
• 02 – Gregor Gysi • Politiker, Autor, Jurist
• 01 –Dr. Yasemin Uçan • Trägerin des Augsburger Wissenschaftspreises für interkulturelle Studien 2022
► auxlese – das literarische Questionnaire

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