Fรผr Kinder, die sich mit dem Lesen nicht so leichttun

Ein Gastbeitrag der Friedberger Kinderbuch-Autorin und ehemaligen Lehrerin Heidemarie Brosche. รœber Bรผcher nach dem Bremer Erstlese-Index, das Lesenlernen und den jungen Verlag Edition Helden.

Schon als ich noch Lehrerin an einer Augsburger Grund- und Mittelschule war, wurde mir immer wieder schmerzhaft bewusst, wie schwer sich manche Kinder mit dem Lesen tun und wie wenig Freude sie entsprechend dabei haben (kรถnnen).

Seither haben zahlreiche Untersuchungen, zuletzt die im Mai 2023 verรถffentlichte โ–บ Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) [ โžฅ auxlitera berichtete ], bestรคtigt, dass es viele solcher Kinder gibt, sehr viele: 25 % der Kinder kรถnnen am Ende der Grundschulzeit nicht angemessen lesen, sie haben kaum Chancen, den Inhalt des Gelesenen zu verstehen. Was nichts anderes heiรŸt, als dass viele von ihnen als Schlechtleser*innen aus der Schule entlassen werden.

Ich wundere mich immer wieder, wie nach solchen Ergebnissen recht schnell zur Tagesordnung รผbergegangen wird, wie der Aufschrei ausbleibt, der eigentlich dringend angesagt wรคre. Denn Schlechtleser*innen entgeht ja nicht nur die groรŸe Freude, die das Lesen mit sich bringen kann, sondern das geringe Lesevermรถgen beeintrรคchtigt ihre gesamte Schullaufbahn, schrรคnkt ihre Berufsaussichten ein und verhindert eine angemessene gesellschaftliche Teilhabe. Und natรผrlich sind so viele schlechtlesende Menschen auch fรผr eine Gesellschaft belastend!

Vor und in der Schule

Illustration: DavidRockDesign | David @ Pixabay

Natรผrlich mรผsste so frรผh wie mรถglich angesetzt werden. In den vorschulischen Einrichtungen mรผsste Sprachbildung und Hinfรผhrung zum Lesen ganz oben stehen! In der Schule mรผsste ausreichend geรผbt werden, nachdem die Kinder das Lesen und Schreiben โ€“ rein theoretisch โ€“ gelernt haben.

Oft wird versucht, Kinder durch lesemotivierende Aktionen fรผrs Lesen zu begeistern. Dabei hapert es bei vielen Kindern, die sich mit dem Lesen schwertun, schlichtweg an der Leseflรผssigkeit. Und wer sehr langsam und stockend entziffert, hat kaum Kapazitรคten frei fรผr das Verstehen von Texten, kann das Lesen demnach nicht schรถn finden und meidet es, wo es mรถglich ist. Was zu einem Teufelskreis fรผhrt: Wer nicht gut lesen kann, liest nicht gerne. Wer nicht gerne liest, liest viel zu selten, um besser zu werden.

Wichtig: fรผr das รœben angemessene Erstlesebรผcher

Helfen kann in meinen Augen nur, wenn die Leseflรผssigkeit durch geeignetes รœben verbessert wird. Hierzu empfehlen sich zum einen erprobte Lautleseverfahren, wie Tandemlesen und hรถrtextbegleitetes Lesen. Zum andern braucht es fรผrs stille Lesen dringend angemessene (!) Erstlesebรผcher, die den besagten Kindern keine unnรถtigen Hรผrden in den Weg stellen und die sich deutlich von den gรคngigen Erstlese-Bรผchern unterscheiden. Denn obwohl es seit vielen Jahren eine Unmenge von Erstlese-Bรผchern gibt, sind die meisten voller Stolperschwellen fรผr Kinder, die sich mit dem Lesen schwertun.

Die Lese-Didaktiker Erika Brinkmann und Hans Brรผgelmann haben deshalb den โ–บ Bremer Erstlese-Index (BRELIX) entwickelt. Kurz gefasst, geht es darum, durch recht wenige Seiten pro Buch, wenige und wenig schwierige Sรคtze pro Seite, wenige und einfach gebaute Wรถrter pro Satz Kindern beim Lesen Hรผrden zu ersparen und die fรผrs Lese-Selbstkonzept so wichtigen Erfolgserlebnisse ร  la ยปJuchhu, ich habe soeben ein ganzes Buch gelesen!ยซ zu ermรถglichen.

Ein ganz besonderer Verlag

โ€ข wenige Wรถrter pro Seite
โ€ข Wiederholungen
โ€ข einfach lesbare Wรถrter
โ€ข die Zeichnungen erleichtern das Verstรคndnis

Als langjรคhrige Autorin und ehemalige Lehrerin wollte ich zu gerne selbst entsprechenden Lesestoff ยปproduzierenยซ, sprich: Bรผcher schreiben, die sich weitgehend am BRELIX orientieren. Es gibt sie nรคmlich kaum.

Und siehe da โ€“ der junge Verlag Edition Helden mit seiner Verlegerin Martina Streble hat sich genau dies auf die Fahnen geschrieben: Lesestoff in Form von Comics fรผr Kinder zu liefern, denen das Lesenlernen schwerfรคllt. Die gelernte Buchhรคndlerin und studierte Buchwissenschaftlerin Martina Streble hat selbst viele Jahre im Augsburger WiรŸner Verlag gearbeitet, so hatten wir uns auch kennengelernt. Nun war es mir sowohl Freude als auch Herausforderung, fรผr ihren Verlag einen extrem lesefreundlichen Comic zu schreiben, der wunderbarer und seltener Weise nicht nur ein Bรผchlein, sondern ein richtiges Buch werden durfte.

Im September 2023 ist der erste Band der Comic-Reihe Lesen mit Ella und Tim als Hardcover-Buch von 56 Seiten erschienen, einige weitere Bรคnde habe ich bereits geschrieben. Wer den Band Die Rettung (Illustrationen: โ–บ Julia Bittruf) mal eben durchblรคttert, fragt sich womรถglich, was am Schreiben einer so kurzen Geschichte herausfordernd sein soll. Und ja, in der Comic-Form einigermaรŸen BRELIX-gerecht zu schreiben, funktioniert womรถglich ein kleines bisschen leichter als in einem erzรคhlenden Text, aber auch hier habe ich oft entsetzlich lange nach Synonymen und Vereinfachungen gesucht. Viel schneller schreibe ich Bรผcher von deutlich grรถรŸerem Umfang, in denen ich nicht auf das Vermeiden von Hรผrden achten muss!

Gutes Lese-Selbstkonzept & Lesemotivation

Im ersten Band der Reihe Lesen mit Ella und Tim lernen sich die beiden kennen.

Auch wenn es nach plumper Eigenwerbung klingen mag: Ich bin der Meinung, das Buch (und seine Nachfolgebรคnde) sollten in jedem Klassenzimmer vorhanden sein, in dem auch nur ein Kind Schwierigkeiten mit dem Lesenlernen hat. Denn wenn diese Kinder beim Lesen nicht stรคndig an Hรผrden hรคngenbleiben, รผben sie wie von selbst das Lesen und erleben sich dabei als erfolgreich. Was sie eben brauchen fรผr ein gutes Lese-Selbstkonzept und fรผr Lesemotivation!

Und was hat das Ganze nun mit einer Seite wie auxlitera zu tun, die sich Literatur, Buchkultur und Sprachkunst auf die Fahnen geschrieben hat? Tja, wenn der Knoten geplatzt ist, wenn Kinder spรผren, dass sie das Lesen eben doch lernen kรถnnen, immer besser lernen kรถnnen, dann sind sie fรผrs Lesen vielleicht/hoffentlich doch nicht verloren. Dann kรถnnen auch sie Menschen werden, die Freude an Literatur haben!
โžฅ ๐Ÿ‘ฉ Ein Gastbeitrag von Heidemarie Brosche


โ€ข Am Freitag, 10. November (14.30 Uhr), liest Heidemarie Brosche im Bรผrgertreff Hochzoll aus ihrem Kinderbuch ยยปPENG! Ein Weihnachtspinguin fรผr Paulยซ.

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HEIDEMARIE BROSCHE

Heidemarie Brosche war viele Jahre Hauptschullehrerin. Seit gut 30 Jahren schreibt sie erfolgreich Kinder-, Jugend- und Sachbรผcher. Eine angemessene Lesefรถrderung ist ihr schon lange ein Herzensanliegen. Fรผr ihr Engagement in den Bereichen Lesefรถrderung und Bildungsgerechtigkeit wurde sie 2020 mit dem Volkacher Taler der Deutschen Akademie fรผr Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet. Heidemarie Brosche lebt in Friedberg.

โ–บ www.h-brosche.de


Julia Bittruf & Heidemarie Brosche: Lesen mit Ella und Tim. Band 1: Die Rettung.
Illustrationen: J. Bittruf โ€ข Text: H. Brosche
Comic fรผr Erstleser von 5 bis 10 Jahren
Gebunden, 56 Seiten
Edition Helden, 2023
Format: 21,0 x 14,5 cm
ISBN: โ€Ž978-3949866074


โ€ข Verรถffentlichungsdatum: 1. September 2023


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