Über einen Höhepunkt des Augsburger Musikdrucks

In dem neuen Buch »Same Same but different« untersucht Torge Schiefelbein die Geschichte des »Augsburger Liber selectarum cantionum« (1520), der ersten Motettensammlung, die nördlich der Alpen in den Druck gegangen ist.

Same Same but different. Die erhaltenen Exemplare des »Liber selectarum cantionum« (Augsburg 1520) lautet der Titel der Studie, jetzt in der Reihe Wiener Forum für ältere Musikgeschichte im‎ Hollitzer Wissenschaftsverlag (Wien) erschienen ist. Der Autor Torge Schiefelbein promovierte mit seiner Arbeit über den 500 Jahre alten Augsburger Musikdruck in Philosophie im Gebiet Musikwissenschaft. Im Wiener Hollitzer Verlag erscheinen auch die 1991 begründeten Mozart Studien, herausgegeben vom in Augsburg aufgewachsenen Mozartexperten Manfred Hermann Schmid (*1947 – ✝ 2021 in Augsburg).*)

Zum Buch: Die Motettenanthologie Liber selectarum cantionum, gedruckt im Jahr 1520 in Augsburg, ist ein Husarenstück ihrer Zeit. In der vorliegenden Publikation offenbart Torge Schiefelbein das soziale Netz, in dem das Buch entstanden ist, diskutiert mögliche Auftraggeber, porträtiert das gedruckte Repertoire und beleuchtet die Provenienz jedes einzelnen Exemplars.

Der volle Titel der Motettensammlung lautet Liber selectarum cantionum quas vulgo mutetas appellant sex quinque et quatuor vocum, lateinisch für »Buch ausgewählter Gesänge, die man gemeinhin Motetten nennt, zu sechs, fünf und vier Stimmen«. Der Musikdruck, von dem heute noch 20 Exemplare vorhanden sind, wurde in Augsburg in der Werkstatt Sigmund Grimms und Markus Wirsungs gedruckt. Deren Druckoffizin galt im vorreformatorischen Augsburg als die wichtigste Publikationsstätte humanistischer Literatur.

Titelseite des Liber Selectarum Cantionum. Foto: Public Domain

Der Arzt und Apotheker Grimm war mit einer Verwandten von Margarete Welser, der Ehefrau Konrad Peutingers, einem der namhaftesten Vertreter des Humanismus in Obderdeutschland verheiratet und damit Mitglied einer der angesehensten Familien in Augsburg. Würsung (ca 1460 – 1520/21) war ein Ausburger Kaufmann, Apotheker, Buchhändler und Verleger. Peutinger, der auch das Nachwort zum Liber verfasste, gründete 1500 die Sodalitas litteraria Augustana. Der Liber selectarum ist einem der Mitglieder dieser humanistischen Gesellschaft gewidmet, dem Augsburger Matthäus Lang von Wellenburg. Dieser galt als rechte Hand Maximilians I.

Der Liber selectarum cantionum wurde am 28. Oktober 1520 veröffentlicht. Das Herzstück der Studie von Torge Schiefelbein bildet eine Rekonstruktion und Analyse des Herstellungsprozesses der Motettensammlung: Auf der Basis eines vollständigen Vergleichs aller 20 erhaltenen Exemplare – mit insgesamt mehr als 10.000 Seiten – können erstmals sämtliche Differenzen aufgelistet, manche Lesarten bedenkenlos als falsch ausgeschlossen und Schlüsse über die Druckreihenfolge gezogen werden. Jedes Exemplar des Liber ist einzigartig. Die noch gängige Auffassung, alle Kopien einer Auflage wären gleich, muss künftig angepasst werden: Nicht identische, sondern ähnliche Produkte sind die Regel.

Das Herzstück der Studie bildet eine Rekonstruktion und Analyse des Herstellungsprozesses: Auf der Basis eines vollständigen Vergleichs aller 20 erhaltenen Exemplare – mit insgesamt mehr als 10.000 Seiten – können erstmals sämtliche Differenzen aufgelistet, manche Lesarten bedenkenlos als falsch ausgeschlossen und Schlüsse über die Druckreihenfolge gezogen werden. Jedes Exemplar des Liber ist einzigartig. Die noch gängige Auffassung, alle Kopien einer Auflage wären gleich, muss künftig angepasst werden: Nicht identische, sondern ähnliche Produkte sind die Regel.

Torge Schiefelbein studierte und promovierte an der Universität Wien. Der Liber selectarum cantionum (Augsburg 1520) war Thema seiner Diplomarbeit (2013), eines von ihm verfassten Artikels für das Handbuch der Musik der Renaissance (2014) und seiner Dissertation (2016).

Im Hollitzer Verlag erscheinen auch die Mozart Studien des verstorbenen Augsburger Herausgebers Manfred Hermann Schmid.

(* In Band 27 der Mozart Studien (2020) schrieb Schmid den Augsburg-spezifischen Beitrag »Über Augsburg als ein Zentrum der Mozartforschung 1939 – 1954: Ferdinand Kleindinst und Ernst Fritz Schmid«. Manfred Hermann Schmid wuchs in Augsburg auf, studierte Violine am Augsburger Konservatorium, später in Salzburg Musikwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte. Schmid lebte nach seiner Emeritierung bis zu seinem Tod 2021 in Augsburg. Die Mozart Studien veröffentlichen Beiträge in deutscher, italienischer, französischer oder englischer Sprache. Im Mittelpunkt stehen wissenschaftliche Arbeiten zum Werk von Wolfgang Amadeus Mozart.

Torge Schiefelbein: Same Same but Different. Die erhaltenen Exemplare des „Liber selectarum cantionum“ (Augsburg 1520)
Wien: Hollitzer Verlag, 2022 (Wiener Forum für ältere Musikgeschichte, Band 12)
428 S., 16,5 x 24,5 cm, Deutsch, Hardcover
ISBN 978-3-99012-992-0 (hbk) € 70,00
ISBN 978-3-99012-993-7 (pdf) € 69,99




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