Das Brechtfestival 2023 stellt sein Programm vor. »Brecht’s People« lautet das Thema. Vom 10. bis 19. Februar präsentiert das Programm auch viel Literatur, Wortkunst und Sprach(en)-Begegnungen.

Im Jahr 2023 will das Brechtfestival nicht nur Brechts 125. Geburtstag feiern, sondern auch danach fragen, was es bedeutet, heute sein Erbe anzutreten. Brecht’s People lautet entsprechend nun das Festivalthema 2023: Mit Blick auf Brechts Verfahrensweisen fällt der Fokus auf Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, die heute eine Brecht’sche künstlerische Praxis pflegen.
Der neue Künstlerische Leiter der Brechtfestival-Triade 2023|24|25, Julian Warner, stellte nun auf einer Pressekonferenz das Programm (abrufbar auf ► www.brechtfestival.de) im Detail vor. »Wir denken das Brechtfestival in drei Säulen: nämlich Brecht, Augsburg, Musik«, so Julian Warner.
Der Schwerpunkt-Titel Brecht meine »Formate, die sich aktiv entweder mit dem Werk oder der Biografie auseinandersetzen«. Augsburg stehe für die Methode, und zwar angewandt: »Sich einzumischen, sich in den Nischen mit den Kämpfen in der Stadt auseinandesetzen und mit den Akteur:innen«. Die dritte Säule des Festivals, Musik, ist für Warner – der als Fehler Kuti auch als Musiker arbeitet – der Ansatz, »Musik zu verstehen als Möglichkeit, nochmal abstrakt, in der Abstraktion, mögliche Welten zu entfalten.«
Weg vom Was, hin zum Wie
Verstand sich das Festival zwischen 2006 und 2008 noch dezidiert als als Literaturfestival (Leitung: der Autor Albert Ostermaier), wandelte es sich zwischen 2010 und 2016 unter der Leitung von Joachim A. Lang – der heuer das Stuttgarter Spoken Word Arts Festival leitete – einen klar erkennbaren Gala-Charakter an. 2017 und 2018 erfuhr das Programm einen klaren Fokus auf die Theaterarbeiten Brechts (Leitung: Patrick Wengenroth).
In den Jahren 2019 und 2021 folgte ein pandemiebedingt von Berlin aus moderierter DNA-Austausch durch einen zwischen Pop- und Hochkultur oszillierenden Kirmes-Gestus. Unter dem neuen Kurator, dem Kulturanthropologen Julian Warner, wechselt die Perspektive erneut und durchaus zum Guten: Brecht bzw das Brechtfestival ist für ihn »Weg vom Was, hin zum Wie«. Unter der Überschrift Die Große Methode nehmen nehmen Warner und sein Team Brechts Arbeitsweise in den Fokus, machen sie sich zu eigen und machen Augsburg selbst zu einem Labor.
Wort und Schreiben, Literatur und Sprache als Methode

Die eigentliche künstlerische Methode Bertolt Brechts, das Schreiben, das Wort, Literatur und die Erstellung dramatischer Texte für das Bühnenwirken, steht zwar nicht im Mittelpunkt des Festivals, macht 2023 nun aber wieder einen großen Teil des Programms aus – und erlebt hier spannende Zugänge, Wendungen, Interventionen und Immersionen.
Künstliche Intelligenz, andere Kultur-, Sprach- und Community-Räume treffen auf die Sprache Brechts, Sound und Audioarbeiten umkreisen Wort und Literatur. Dazu Schreibwerkstätten, szenische Lesungen und das Ausloten der politischen und gesellschaftlichen Verantwortung von Sprache und literarischem Schaffen.
Wirkkräfte: Literatur und Sprache
Das Gesamtprogramm des Festivals beweist dabei, wie es eben das literarische Werk eines Autoren, Lyrikers und Theaterstückschreibers ist, das der Geburts(t)raum einer Verfahrenweise zur Veränderung der Zu- und Umstände werden kann – und bei Brecht eben auch wurde: Hier sind sie, »Brecht’s People« – Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, die heute eine Brecht’sche künstlerische Praxis pflegen.
Dass dies weiterhin auch in Literatur und Sprachkunst geschieht, greift das Festival 2023 vermehrt auf. Gegenüber auxlitera bekräftigte der künstlerische Leiter dabei sein Vorhaben, Literarischen Zeichen und Sprachkunst speziell aus den diversen Communities vermehrt seinen Platz und damit auch Teilhabe zu geben.
Auftakt am 125. Geburtstag, Ende mit Gedenktag
Das Festival startet am Freitag, 10. Februar 2023, Brechts 125. Geburtstag, mit einer Parade, die vom Goldenen Saal im Augsburger Rathaus nach Lechhausen führt, und einem Festbankett. Hier werden u.a. auch die Autoren/innen Elisa Aseva, Fatma Aydemir und Aras Ören Geburtstagsreden an den Jubilar halten.
Das Festival endet am Sonntag, 19. Februar 2023, dem dritten Jahrestag der rassistischen Morde in Hanau, mit Say Their Names, einem kollektiven Erinnern in Film, Lesung und Gespräch an Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili-Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin.
Brechtmaschine: Künstliche Intelligenz schreibt Brecht-Texte
Unter dem Titel „Brechtmaschine“ arbeitet das Festival in Kooperation mit dem Staatstheater Augsburg mit Möglichkeiten und Herausforderungen der digitalen Welt. Könnte eine Künstliche Intelligenz Texte generieren, die sich für echte Texte von Bertolt Brecht halten lassen? Und würde man eine Künstliche Intelligenz, an sämtlichen zugänglichen Daten des Internets geschult, anweisen, als Bertolt Brecht zu antworten: Was hätte ein derart revitalisierter Brecht zu den Dilemmata der Gegenwart zu sagen? In einem großen, kollaborativen Mensch-Maschine-Schreibprozess arbeiten eine Künstliche Intelligenz und Interessierte an einem Theaterstück, das wenig später uraufgeführt wird.
Spoken Word & Sound
Zwei spannende Begegnungen von Literatur und Sprachkunst mit Musik und Sound sind der Auftritt von Franz Dobler & Das Hobos (»Wer macht den Dreck und wer macht die Wäsche?«) und das Sound Lab for Fluid Ways of Knowing. Im Zusammenspiel der Augsburger Band Das Hobos mit der Live-Performance des Schriftstellers Franz Dobler entsteht ein Klang- und Denkraum, in dem sich Rhythmen in Reflexionen fortsetzen und handgemachter Groove auf leisen Witz trifft.
Das Sound Lab for Fluid Ways of Knowing bringt mit Sound und Sprache arbeitende Künstlerinnen und Künstler, die in Ghana und Deutschland leben, in einen Prozess künstlerischer Forschung zu Methoden der Fluidität, Oralität, Non-Dualität, des Prozesses und der Improvisation. Das Sound Lab läuft die gesamte Woche des Brechtfestivals. Dabei werden die Künstler*innen über Workshops und andere Interventionen immer wieder öffentliche Einblicke in ihre Prozesse und Arbeiten geben.
Unter dem Titel »Die Themen liegen auf der Straße« wird es in der Stadtteilbücherei Lechhausen einen Workshop für junge Redakteure/innen, Storyteller/innen, Illustratoren/innen geben.
Brecht auf Twitch, im Brotladen & im Figurentheater

Futurioso, die technofuturistische Late-Night-Show des Staatstheater Augsburg, die monatlich auf twitch.tv ausgestrahlt wird, präsentiert eine Sondersendung zum Augsburger Brechtfestival mit einem Sonder-Spezial-Gast: dem Geist Bertolt Brechts.
Das Theater Bremen zeigt Leer/Stand – Der Brotladen oder: Wem gehört der Stadtraum? von Antigone Akgün frei nach Bertolt Brecht. Ausgehend von Brechts Fragment verwandelt Antigone Akgün mit ihren Spielerinnen und Spielern einen Leerstand in der Blücherstraße in einen Erzählraum mit Schauspiel, Videos und Installationen.
2021 und 2022 waren Suse Wächters Helden des 20. Jahrhunderts absolute Publikumslieblinge und sorgten für »Glück im Stream« (SZ). Beim Brechtfestival 2023 kehren einige alte Heldinnen und Helden mit neuen Dämonen zurück – live im martini-Park, der großen Bühne des Staatstheater Augsburg: In Brecht’s Gespenster wird Bertolt Brecht von den zahllosen Geistern heimgesucht, die er in seinem Exil und bei seiner Wiederkehr nach Berlin getroffen hat. Zusammen mit zwei Musikern und einem Puppenspieler zelebriert das Ensemble um Suse Wächter eine abendliche Séance, in der die kleinen Puppen mit der großen Aura ihr Spiel spielen.
Brecht aus der Türkei, im Vorstadt-Spaziergang & im Lied

Bertolt Brechts Stücke werden spätestens seit den 1960er Jahren auch immer wieder in der Türkei gespielt. Die Alevitische Gemeinde Augsburg präsentiert mit Brecht aus der Türkei einen Abend mit Gespräch, Lesung und Musik.
Sieben Rosen hat der Strauch ist ein musikalisches Geburtstagsgeschenk mit feministischer Note: Die kenntnisreichen Interpretinnen Karla Andrä, Stefanie Schlesinger, Alexandrina Simeon, Anna Holzhauser, Isabell Münsch, Ute Legner und Eva Gold bringen Brechts Lyrik auf die Bühne.
Kurt Idrizovic führt im literarischen Vorstadt-Spaziergang O die unerhörten Möglichkeiten – Brecht in Lechhausen das Publikum an die Originalschauplätze, an denen der junge Bertolt Brecht schwamm, dichtete und liebte.
HipHop-Lecture, Audiofeature & Hoigarten
Murat Güngör, Ex-Rapper und Mitbegründer des antirassistischen Netzwerks Kanak Attak, und Hannes Loh, ehemaliger Rapper bei der Gruppe Anarchist Academy, lassen in ihrer Lecture Remix Almanya die Anfänge des deutschen Hip-Hops aus der postmigrantischen Szene Revue passieren.
Lechhausen, einst klassisches Arbeiterviertel, ist heute Wohnort vieler prekär Beschäftigter mit und ohne Migrationsgeschichte. Wie hat sich das Viertel in den letzten 30 Jahren verändert? Was treibt die Leute um, was hat sie damals umgetrieben? Die Regisseurin Dorothea Schroeder hat sich in der hiesigen Kneipen-Szene umgehört und die Essenz in das Audiofeature »Der Geist der Taverne« gegossen. Der Oberbayrische Volkstrachtenverein Lechhausen e.V. reflektiert in „Ankommen, Weitertanzen. Ein Lechhauser Hoigarten“ die eigene Geschichte.
Bier mit Bert
Vom 12. Januar bis 5. Februar bietet das Warm-Up Programm des Brechtfestivals verschiedene Möglichkeiten an, sich einzuklinken und einzustimmen. Das Staatstheater Augsburg präsentiert dazu unter dem Motto Bier mit Bert eine Festwoche mit Lesungen, Musik und Experimentellem im Alten Rock Café, dem Saalbau Krone und der ehemaligen Geschäftsstelle der Stadtsparkasse Augsburg in der Blücherstraße.
Impossible music, Organismen & Themenweberei

Unter dem Stichwort Impossible Music betreten die beiden Kuratoren Markus Acher und Girisha Fernando das Spielfeld von Brechts Methode und öffnen es für einen internationalen, stilübergreifenden musikalischen Austausch mit Künstler*innen aus Uganda, Japan, der Türkei, Großbritannien und der Ukraine. Hier werden unter anderem die Dakh Daughters (Kiew), in ihrem mehrsprachigen »Freak Cabaret« auch Texte von Taras Schevchenko, Joseph Brodsky und William Shakespeare verarbeiten und der britische Saxofonist, Komponist und Poet Alabaster DePlume auf das Impossible Orkestra (Augsburg/München) treffen.
Das mehrjährige Multispezies-Stadtprojekt „Organismenrepublik Augsburg“ mit der Berliner Künstler*innengruppe Club Real will erfahrbar machen, wie eigentlich Gesellschaft und Politik funktionieren. Vergessene Geschichten, verdrängte Themen: God’s Entertainment haben mit „Unter dem Teppich“ vor, beim gemeinsamen Weben vergessenen Geschichten und verdrängten Themen wieder eine neue sichtbare Form zu geben. Und letztendlich heißt es sogar: Brechtfestival goes Wrestling. Unter dem Titel »Kampf um Augsburg« wird es, nun ja, eine Wrestlingshow geben.
Darüber hinaus will Brecht’s People ist eine Einladung an alle sein, sich selbst in die Brecht‘sche Tradition zu stellen. 2023 sind alle, die sich dazu berufen fühlen, eingeladen, mit ihren Fähigkeiten Teil des Festivals zu werden. Ob als Weber/in in der Performance Unter dem Teppich (28.01.– 05.02.2023), als Vertreter/in einer Spezies in der Organismenrepublik (12.01.2023) oder als Wrestler/in in Ausbildung (04./05.02.2023).
~ [auxlit / msc / pm]
ANFAHRT & SHUTTLES:
Das Brechtfestival öffnet Orte, die nicht als klassische Spielstätten ausgerichtet sind. Das Angebot an Parkplätzen ist begrenzt. Es wird gebeten, nach Möglichkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Zwischen dem Saal der Alevitischen Gemeinde in der Bozener Str. 4a und der Innenstadt wird es zu den Veranstaltungen am 10., 11., 12., 17. und 18. Februar einen Shuttleservice geben.
TICKETS & UPDATES
Der Kartenvorverkauf für die Veranstaltungen des Brechtfestivals beginnt ab Mitte Dezember 2022. Unter ► brechtfestival.de gibt es tagesaktuelle Infos zum Ablauf des Programms, zu den jeweils geltenden Hygienemaßnahmen vor Ort und zu Rückgabemöglichkeiten für Tickets abgesagter Veranstaltungen. Kurzfristige Änderungen werden auch auf den Social-Media-Kanälen geteilt.
BRECHTFESTIVAL • SOCIAL MEDIA & KANÄLE
Webseite: ► brechtfestival.de
Instagram: ► instagram.com/brechtfestival/
Facebook: ► facebook.com/brechtfestival/
Twitter: ► twitter.com/BrechtfestivalA

KURZBIOGRAFIE JULIAN WARNER
Julian Warner ist Künstler und Kurator. Unter dem Alias Fehler Kuti veröffentlicht er vielbesprochene Popmusik und Performances. Er war künstlerischer Leiter des Festivals der KulturRegion Stuttgart 2022 und co-kuratierte Performing Arts Festivals für das Künstler/innenhaus Mousonturm (mit Elisa Liepsch), die Münchner Kammerspiele (mit Julia Grosse) und die Berliner Sophiensaele.
2021 entwarf er für das internationale Theaterfestival Spielart ein Großprojekt im öffentlichen Raum zu gegenwärtigen Diskursen der Angst (»Global Angst: Parlament. Parade. Ritual.«). Er war Performer diverser Essay-Performances von Oliver Zahn sowie Dramaturg und Ethnograf von Anta Helena Reckes Schwarzkopie Mittelreich.
Als wissenschaftlicher Mitarbeiter arbeitete und lehrte er am Institut für Kulturanthropologie der Georg-August-Universität Göttingen und ist mit Elisa Liepsch Ko-Herausgeber des Sammelbandes Allianzen — Kritische Praxis an weißen Institutionen. Zuletzt gab er einen Sammelband zum Stand der postkolonialen Kritik in Deutschland heraus: After Europe. Beiträge zur dekolonialen Kritik erschien 2021 im Verbrecher Verlag.
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