Literatur im BR erhalten: Demo am 11.09. und Offener Brief

Der Bayerische Rundfunk will das Literatur- und Kulturprogramm in seinem Sender BR2 zusammenstreichen. Am Montag, 11. September, findet um 11 Uhr vor dem Funkhaus in Mรผnchen eine Demo dagegen statt. Dabei wird auch ein ยปOffener Briefยซ รผbergeben. Auch eine Online-Petition ist gestartet.

Der รถffentlich-rechtliche Sender Bayerischer Rundfunk will im Rahmen einer Programmreform mehrere Kultursendungen, darunter auch einige literarische Formate, streichen. Betroffen sind die BR2-Formate kulturWelt, Diwan: Das Bรผchermagazin, Kulturjournal: Kritik Dialog Essay, Nachtstudio, WeltEmpfรคnger, Nachtmix und radioTexte โ€“ die Lesungen. Letztere sind auch bis dato regelmรครŸig im โ–บ auxlitera-Veranstaltungskalender zu finden.

Die Kรผrzungen sollen wรถchentlich sieben Stunden Sendezeit betreffen, einzelne im Tagesprogramm eingestreute Beitrรคge sollen offenbar die dafรผr gestrichenen Kultursendungen ausgleichen. Ob dieser Ausgleich quantitativ und qualitativ ausreichend ist, ist fraglich; klar erkennbar auf alle Fรคlle ist aber, dass Kultur im sogenannten linearen Radioprogramm weniger Wertschรคtzung und Stellenwert in Form eigener Sendungen erfahren wird. Mehr zur Kritik und eine Stellungnahme des BR weiter unten im Artikel.

Ein Zusammenschluss von Autorinnen und Autoren sowie Kรผnstlerinnen und Kรผnstlern will nun am Montag, 11. September, um 11 Uhr vor dem Funkhaus in Mรผnchen (๐Ÿ“ ArnulfstraรŸe 42/44 in Mรผnchen) demonstrieren. Zur Aktion mit Reden und Musik โ€“ die Demo soll 45 Minuten dauern โ€“ laden die Organisatoren/-innen alle Kulturschaffenden und Kulturfreunde ein, die sich dem Protest anschlieรŸen wollen. Bei der Protestaktion wird ein Offener Brief รผberreicht, der von zahlreichen Kulturschaffenden unterschrieben wurde. Zu den Unterzeichnern gehรถren auch Kulturakteure aus Augsburg.
Anderer Aktivisten haben inzwischen eine โ–บ Online-Petition gestartet.

Der Offene Brief

โ–บ auxlitera verรถffentlicht im Folgenden den Offenen Brief der Protestierenden:

ยปBayern 2: Kulturprogramm kรผnftig ohne Kultur?

Mit groรŸer Sorge nehmen wir Kรผnstlerinnen und Kรผnstler in Bayern die Berichterstattung รผber einen radikalen Umbau der Welle Bayern 2 zur Kenntnis. Mehrere Stunden eigenstรคndiges Kulturprogramm sollen im Frรผhjahr 2024 im Zuge einer weitreichenden Programmreform verschwinden. Bayern 2, das Kulturradioprogramm des Bayerischen Rundfunks, verzichtet kรผnftig unter anderem auf eine eigene Bรผchersendung. Damit gibt es keine Sendung mehr, die wรถchentlich รผber das literarische Leben in Bayern mit seiner groรŸen Verlagslandschaft berichtet, in den deutschsprachigen Raum blickt und ebenso Weltliteratur vorstellt. Auch soll eine Sendung wie das Kulturjournal eingespart werden โ€“ und damit, so der Untertitel, Formate wie Kritik-Dialog-Essay. Wo kรถnnen wir diese Inhalte und Formen kรผnftig hรถren und wahrnehmen, wenn es eine solche Sendung nicht mehr gibt? In einer Zeit, in der Lautstรคrke und Geschrei die รถffentlichen Diskussionen bestimmen, ist die Abschaffung eine folgenschwere Entscheidung.

Der Wegfall eines groรŸen Teils der Kultursendungen im Programm von Bayern 2 fรผhrt aus unserer Sicht auch dazu, dass wir Kรผnstlerinnen und Kรผnstler โ€“ Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Musikerinnen und Musiker, Regisseurinnen und Regisseure, Theatermacherinnen und Theatermacher, Architektinnen und Architekten, Bildende Kรผnstlerinnen und Kรผnstler und andere โ€“ kรผnftig immer weniger Raum bekommen, um unsere Arbeit sichtbar und hรถrbar zu machen, um ein รถffentliches Podium fรผr sie zu haben. Wo aber soll man Kultur noch entdecken, wenn es kein Forum zum Entdecken mehr gibt? Kunst und Kultur mรผssen sichtbar sein, benรถtigen Expertise der Vermittlung. Darauf verweist auch der Medienstaatsvertrag, in dem โ€“ in den Bestimmungen zum Auftrag der รถffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, im ยง 26 โ€“ eine Berichterstattung insbesondere zur Kultur gesetzlich festgeschrieben ist.

Nach dem Bekanntwerden der Plรคne zur Streichung eines GroรŸteils der eigenstรคndigen Kultursendungen im Programm von Bayern 2 erklรคrte Programmdirektor Kultur Bjรถrn Wilhelm in einem Interview, es werde nicht an der Kultur gespart. Angesichts der vielen Sendungen, die von den Verantwortlichen zur Disposition gestellt worden sind, ist dieses Argument wenig รผberzeugend. Eine von Herrn Wilhelm behauptete Stรคrkung der Kultur in einer sogenannten ยปPrimetimeยซ streut Kulturbeitrรคge in eine Flรคche. Zudem drohen aus unserer Sicht wichtige Kulturthemen, die als nicht tauglich fรผr diese Primetime erachtet werden, ganz aus dem Programm des Kulturradios zu verschwinden. Die Programmreform geht zu Lasten der linearen Hรถrerinnen und Hรถrer, fรผr die das Radio ein tรคglicher Begleiter ist, auch und besonders in kulturellen Fragen.

Im November 2021 โ€“ in der Corona-Pandemie โ€“ initiierte BR-Intendantin Katja Wildermuth รถffentlich eine groรŸe ยปKultur-Offensiveยซ โ€“ zur Stรคrkung der Kultur in einer fรผr die Kunst und Kultur sehr schwierigen Zeit. Zwei Jahre spรคter befรผrchten wir Kรผnstlerinnen und Kรผnstler in Bayern eine ganz andere Kultur-Offensive: das Ende einer eigenstรคndigen kontinuierlichen und vertiefenden Kulturberichterstattung, das Ende von Debattenkultur, das Ende kultureller Themensetzung im Programm von Bayern 2.

Die Entwicklung steht aus Sicht der hier unterzeichnenden Kรผnstlerinnen und Kรผnstler auch gegen die im Medienstaatsvertrag festgeschriebene besondere Rolle der Kulturberichterstattung in den Programmen des Bayerischen Rundfunks. Die รถffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind Grundpfeiler unserer Demokratie und unverzichtbar fรผr die Auseinandersetzung mit der Kultur. In einer Zeit, in der die Sender der ARD vielfach Gegenwind erfahren, werden ausgerechnet Kulturprogramme verรคndert und eingespart. Die ARD gibt damit einen Teil ihrer Kernkompetenz auf. Aus unserer Sicht ist das ein falscher und fataler Weg.ยซ

โ€“ Offener Brief der Kritikerinnen und Kritiker der ยปSchemareformยซ beim BR2

ยปKahlschlagยซ und ยปFreies Wort unter Druckยซ:
BR-Kritik der PEN-Zentren

Widerstand gegen die so genannte Schemareform und Kritik am BR hatte es bereits von den beiden PEN-Vereinigungen PEN-Zentrum Deutschland und PEN Berlin gegeben, aber auch vom Bayerischen Staatsminister fรผr Wissenschaft und Kunst Markus Blume sowie von Kultur-Rundfunkrat Gerhart Baum. Die โ–บ Mรผnchner Abendzeitung berichtete auch von senderinterner Kritik.

Das PEN-Zentrum Deutschland spricht von einem ยปKahlschlagยซund warnt vor einer drohenden ยปHรคppchen-Kulturยซ. Kultur sei unverzichtbare Voraussetzung demokratischen Zusammenlebens. Die Vereinigung verweist dabei darauf, dass der รถffentlich-rechtliche Rundfunk kein Privatunternehmen sei, sondern seinen Bildungsauftrag, wie er im Staatsvertrag fรผr Rundfunk und Tele-Medien (ยง 11) verankert ist, zu erfรผllen habe. Das PEN-Zentrum Deutschland weiter: ยปReformen und SparmaรŸnahmen sind zweifelsohne notwendig. Anfangen sollte man freilich mit den Gehรคltern und zusรคtzlichen Privilegien der Chefetage. Weitere wichtige Reformansรคtze betreffen die Mitbestimmungsrechte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zu realisieren ist eine lรคngst รผberfรคllige flache Hierarchie in den Rundfunkanstalten.ยซ

Auch PEN Berlin protestiert dagegen. ยปDie Streichung von Hรถrspiel- und Radioessayproduktionen sowie von Rezensionen und Interviews beschรคdigt nicht nur die ohnehin oft prekรคre Lebensgrundlage unserer Mitglieder. Das freie Wort gerรคt noch weiter unter Druck, wenn der รถffentlich-rechtliche Rundfunk nicht mehr, wie es seine verfassungsmรครŸige Aufgabe ist, seinem Bildungsauftrag nachkommt.ยซ PEN Berlin verweist ebenfalls auf den Bayerischen Medienstaatsvertrag, wo es heiรŸe: ยปDie รถffentlich-rechtlichen Angebote haben der Kultur, Bildung, Information und Beratung zu dienen.ยซ Wer Kulturangebote drastisch kรผrze, so PEN Berlin, erschwere damit auch den Zugang zu Fakten und zur Vielfalt der Argumente. Hier trage man dann dazu bei, ยปdass die Meinungsbildung in Deutschland noch mehr durch Einseitigkeit, โ€บgefรผhlte Wahrheitenโ€น und dreiste Lรผgen geprรคgt wird.ยซ

Offizielles Statement des Bayerischen Rundfunks โ€“
Umsetzung der ร„nderungen ab Frรผhling 2024 geplant

Der BR versucht zu beschwichtigen. Er reagierte am 29. August 2023 mit einem offiziellen Statement zur geรคuรŸerten Kritik, offenbar auch inbesondere anlรคsslich der Berichterstattung der Mรผnchener Abendzeitung. Der Sender spricht bei den geplanten ร„nderungen von einer ยปSchemareformยซ bei Bayern 2. Im Prozess gehe es ยปnicht darum, Inhalte zu streichen, sondern um Transformation und die Zukunftssicherung von Bayern 2 als dem Kulturangebot des Bayerischen Rundfunks โ€“ linear wie digital.ยซ Ziel sei es, Kulturinhalte einem noch breiteren Publikum in den hรถrerstarken Zeiten im Linearen zu prรคsentieren.

Zugleich gelte es, wertvolle Inhalte auch fรผr neue und digitale Zielgruppen ยปattraktiv und auf den entsprechenden Plattformenยซ anzubieten, dazu gehรถrten etwa auch Podcasts.ยซ Alle Stรคrken von Bayern 2, so der Bayerische Rundfunk, blieben ยปselbstverstรคndlich erhalten โ€“ Hรถrspiele, Lesungen und Rezensionen genauso wie Debattenbeitrรคge oder Essaysยซ. Dabei wรผrden viele der Inhalte in Zukunft noch stรคrker fรผr die digitale Nutzung produziert, d. h. sie wรผrden explizit auch fรผr die Audiothek erstellt. ยปSendungstitel und Darstellungsformen kรถnnen sich รคndern, die Inhalte finden aber ihren Platz auch im Linearen.ยซ

Laut Bayerischem Rundfunk sind die Redaktionen mitten im Prozess und arbeiten ยยปengagiert an der Weiterentwicklung von Bayern 2ยซ. Noch im Herbst sollen Ergebnisse vorliegen und in den Gremien vorgestellt werden. Die Umsetzung plant der BR fรผr das zweite Quartal 2024. ~ [Martin Schmidt / pm]

๐Ÿชง Die 45 Minuten dauernde Protestaktion findet am Montag, 11. September, um 11 Uhr vor dem Funkhaus in der ๐Ÿ“ ArnulfstraรŸe 42/44 in Mรผnchen statt. Neben Reden und Musik wird es eine รœbergabe des Offenen Briefs geben.

โ–บ Google Maps
โ–บ Bahn.de
โ–บ MVV Mรผnchen


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